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Leser fesseln – unser Gehirn weiß, wie’s geht!

Es gibt unendlich viele Schreibtipps zu allen Aspekten des Schreibens – doch selten setzen sich AutorInnen mit dem auseinander, was der Grund dafür ist, warum Sätze klar formuliert sein sollten, warum jedes einzelne Wort wichtig ist und die gute Lesbarkeit von Texten eines der Hauptziele beim Schreiben sein sollte. Denn nur dann bleiben LeserInnen gebannt am Text.

Wir werfen einen Blick ins menschliche Gehirn und erklären, warum wir wie beim Lesen reagieren und was AutorInnen darum tun sollten, um ihre Texte zu verbessern. Und das Schönste: Diese interessanten Fakten gelten für jede Art von Text – egal ob im Roman, Sachbuch, Artikel, Blogbeitrag oder Brief. Viel Spaß bei unserem Gehirnscan in Sachen Wortverarbeitung!

Gehirn und Lesen

Es ist noch wenig erforscht, was beim Lesen im Gehirn passiert. Grundsätzlich gilt: Es gibt bildliche Informationen – Linien, Striche, Punkte –, die nimmt das Gehirn über den visuellen Kortex auf. Dann erkennt das Gehirn den Inhalt. Untersuchungen haben gezeigt, dass bedeutungslose Linienmuster nur wenige Bereiche im Gehirn aktivieren. Erkennt das Gehirn Buchstaben, verdreifacht sich die neuronale Aktivität im Schläfenlappen. Zudem wird der Gyrus angularis aktiv, ein übergeordnetes „Assoziationszentrum“. Hier werden die Symbole dechiffriert. Das heißt: Wir beginnen zu überlegen, was die Symbole bedeuten. Schnellleser können bis zu 900 Wörter in der Minute verarbeiten. Die normale Lesegeschwindigkeit beträgt ca. 250 bis 300 Wörter pro Minute.

Was passiert, wenn wir zu schnell lesen? Die Bildverarbeitung ist kein Problem, das Hirn nimmt die Bilder immer schneller wahr – aber der Gyrus angularis kommt nicht mehr mit. Bei zu viel Text in zu kurzer Zeit, kollabiert die Aktivität in diesem Hirnbereich.

Liest man allerdings zu langsam, kommt man gedanklich ins Abschweifen und kann sich nicht mehr konzentrieren – das Gehirn langweilt sich quasi und steigt aus.

Beim Lesen springen unsere Augen in kleinen Schritten, Sakkaden genannt, von einem Wortteil zum nächsten. Wir fixieren einen Wortteil etwa 300 Millisekunden – dann geht‘s schon weiter. Pro Sakkade verarbeiten wir etwa 3-4 Buchstaben links und 7-8 Buchstaben rechts vom Fixationspunkt. Schon ab 50 Millisekunden können wir das Leseverstehen in Gang bringen. Jetzt wird es spannend: Hierbei greift das Gehirn auf eine Art „mentales Gedächtnis“ zu – auf unseren Wortschatz. Ein bekanntes Wort wird innerhalb von 300 bis 400 Millisekunden erkannt – je mehr solcher Wörter in einem Text, umso leichter lesbarer ist er.

Substantive und Verben werden an verschiedenen Stellen im Gehirn verarbeitet. „Aktive“ Verben wie „gehen“ oder „aufschrauben“ regen zudem Areale an, die für die Bewegung zuständig sind. Auch konkrete und abstrakte Substantive, wie beispielsweise Kuh im Gegensatz zu Großvieheinheit werden unterschiedlich verarbeitet.

Das Wort Kuh regt beide Hirnhemisphären an, nicht nur die linke. Durch den konkreten Ausdruck werden in der rechten Hirnhälfte Empfindungen und Erinnerungen mit assoziiert, also nicht nur das Tier Kuh an sich, sondern auch „Kuh-Erlebnisse“: Stallgeruch oder das Füttern eines Kälbchens etc. Hört man dagegen Großvieheinheit wird nur der für Sprache zuständige linkshemisphärische Bereich angeregt, jedoch keine Emotionen. Erwiesen ist, wir merken uns Dinge viel besser, wenn sie mit Emotionen verknüpft sind.

Die linke Gehirnhälfte ist für analytische Denkprozesse und Zahlen, die rechte eher für ganzheitliches Erfassen, Gefühle und Intuition zuständig.

Beim Lesen verarbeitet das Gehirn vor allem ganze Sätze. Dabei sorgt der hirneigene Arbeitsspeicher dafür, dass der Anfang des Satzes im Kopf behalten wird, um dann am Ende den Gesamtzusammenhang zu verstehen. Daraus folgt ganz logisch: Bei zu langen Sätzen wird der Arbeitsspeicher einfach zu voll. Ein Satz sollte daher nicht länger als 14 bis 16 Worte sein. Schnell unverständlich wird es, wenn wir eingeschobene Relativsätze verwenden. Einfacher geht‘s, wenn im Hauptsatz und im Relativsatz das gleiche Subjekt vorkommt. Dann sinkt die Lesegeschwindigkeit kaum.

Leicht verständlich ist der Satz: Der Lehrer, der den Schüler unterrichtet, bespricht ein ernstes Problem.

Schwer verständlich dagegen: Der Lehrer, den der Schüler auslacht, bespricht ein ernstes Problem. Hier macht der Relativsatz den Lehrer plötzlich zum Objekt (den) – und das ist schwieriger zu verstehen. Generell sind eingeschobene Nebensätze schwieriger zu verstehen als angehängte.

 

Im Supermarkt der Worte

Semantisches Priming

Als „semantisches Priming“ bezeichnet man in der Psycholinguistik den Effekt, dass die Verarbeitung eines Wortes im Gehirn die Verarbeitung eines zweiten nachfolgenden Wortes beeinflusst, wenn zwischen beiden Worten eine semantische oder kategorielle Beziehung besteht. Höre ich Kuh, denke ich an Milch, Bauern, Wiesen, aber auch an Reimwörter wie Muh, Schuh etc. Im Gehirn wird ein ganzes Wortfeld aktiviert. Hier die Beispiele „Milch“ und „Cola“.

Gebildete Erwachsene verfügen über eine Wortschatz von 60.000 bis 90.000 Worte, deren Bedeutung sie gespeichert haben. Der aktive Wortschatz umfasst dabei 10 – 20 %.

Doch die Worte sind nicht wie in einem Lexikon gespeichert, also von A-Z, sondern in Wortfeldern. Ähnlich wie sich in einem Supermarkt die Regale mit den Milchprodukten in der einen Ecke befinden und in der anderen die Obstabteilung und weiter hinten die Putzmittel.

Wenn wir durch ein Wort auf ein Wortfeld eingestimmt werden, kann unser Gehirn dann neu auftauchende Worte schneller und eindeutiger erkennen.

Interessanterweise werden nicht nur semantisch verwandte Wörter – also ähnlich klingende – aktiviert, sondern auch Assoziationen und Emotionen rund um das Wortfeld stimuliert.
Wenn wir zum Beispiel das Wort Hund hören, werden aus dem Wort-Umfeld sowohl die Konnotationen wie Köter oder Schoßhund aktiviert, als auch Bilder wie Fressnapf, Knochen, Hundeleine und sinnliche Eindrücke wie bellen oder der Gestank von nassem Fell sowie emotional besetzte Assoziationen: Biss, Schmerz, Tollwut oder kuscheln, streicheln, bester Freund.

Zudem werden auch klangliche Verknüpfungen aktiviert. Bei Hund fallen uns auch Worte ein wie Fund oder Mund. Noch konkreter, sprich bildhafter, würde das alles, wenn man sich einen bestimmten Hund vorstellt: Mops oder Retriever, Pudel, Dackel oder Collie.

Je intensiver der Mensch sich mit etwas beschäftigt, desto größer und elaborierter ist sein Wortschatz in dieser „Abteilung“. Romanschreibende haben deshalb in ihrem Wissensbereich einen größeren Wortschatz und abrufbare Konnotation zum Thema Literatur als etwa eine Yogalehrerin.

Warum kann und sollte man das nutzen?

Der Mensch hat ein Aufmerksamkeitsfenster von drei Sekunden. Danach sucht unser Hirn nach einem neuen Reiz und überprüft, ob sich etwas in der Umgebung verändert hat.

Außerdem weiß man, dass sich das Gehirn nicht mehr als sieben Informationseinheiten auf einmal merken kann. Deshalb sollte ein Satz nicht mehr als maximal sieben sinntragende Einheiten beinhalten (auch das Erkennen der Grammatik, des Tempus etc. sind Sinneinheiten). Deshalb passen die meisten erfolgreichen Parolen in Drei-Sekunden-Slots: Geiz ist Geil; Freiheit, Gleichheit Brüderlichkeit etc.

Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, dem Supermarkt der Wörter seine Aufmerksamkeit zu schenken. Denn es ist klar, wenn man nur sieben Einheiten verarbeiten kann, die verwendeten Worte jedoch alle in anderen Abteilungen herumliegen, ist es viel schwieriger einen Text zu verstehen, als wenn man mit Worten aus wenigen Wortfeldern arbeitet, die zudem am besten auch den Wortschatz des Adressaten aktivieren.

Bei Worten mit mehreren Bedeutungen werden alle Wortfelder aktiviert, also bei Hahn sowohl der Wasserhahn als auch der Hahn auf dem Mist.

Dieses Priming läuft unwillkürlich ab, daher führen Formulierungen, die man schon oft gehört hat, dazu, dass das Gehirn abschaltet, da es glaubt diesen Satz schon zu kennen, es werden keine weiteren Aktivitäten im Gehirn für nötig befunden, man muss nicht mehr weiter zuhören. Beispielsweise: Sie bekam bei seinem Blick weiche Knie. Es schnürte ihm die Kehle zu. Seine Worte trafen sie wie Messerstiche. Träume zerplatzen wie Seifenblasen. Das Baby ist ein echter Wonneproppen. Laaangweilig, gähnt da das Gehirn.

Zuviel Priming in einem Text kann also auch langweilig sein, daher sollte man hin und wieder ungewöhnliche Worte einarbeiten. Das neue, verblüffende Wort wird im Gehirn ein weiteres Wortfeld aktivieren, das schafft neue neuronale Verknüpfungen und damit Aufmerksamkeit, doch man darf auch das nicht überstrapazieren, weil es zu anstrengend ist.

Wortfelder und Emotionen

Man kann nachweisen, dass positiv besetzte Wörter auch positive Wortfelder aufrufen und so angenehme Gefühle erwecken, daher gibt es in der Werbung so viele Claims wie „Freude am Fahren“ oder „Weil ich es mir wert bin“ oder „Vorsprung durch Technik“.

Britische und deutsche Forscher haben darüber hinaus herausgefunden, dass man sich generell besser an emotionsgeladene Worte erinnert als an neutrale.

Also eher an Begeisterung oder Leidenschaft als an Interesse.

Der Ulmer Neurobiologe Manfred Spitzer konnte außerdem nachweisen, dass besonders Worte, die in einem positiven emotionalen Kontext verankert waren, besser erinnert werden, als die mit einem negativen.

Das liegt daran, dass positive Emotionen mit einer Stimulierung von Hippocampus und Parahippocampus verbunden sind, während negative Emotionen immer auch die Amygdala stimulieren, die unter anderem für Angst zuständig ist und z.B. den Fluchtinstinkt auslöst.

Wie stark Priming Menschen in ihren Entscheidungen beeinflusst macht das folgende Experiment deutlich:

Einigen Versuchspersonen wurde die Frage vorgelegt, ob sie einer schwierigen Operation unterziehen würden.

Dazu bekamen die einen die folgende Informationen:

Neun von zehn Operierten würden in fünf Jahren noch leben.

Den anderen wurde gesagt, dass zehn Prozent der Operierten nach fünf Jahren sterben würden.

Obwohl beide Sätze die gleiche Info beinhalten, nämlich, dass es bei der Operation eine Überlebenschance von 90 % gibt, haben die Versuchspersonen der zweiten Gruppe sich überwiegend gegen eine Operation entschieden. Warum? Weil das Priming hier negative Assoziationen und Gefühle ausgelöst hat: Sterben, Leid, Elend, Schmerz, Tod.

 

Nur ein kleiner Einblick in die Erkenntnisse der Hirnforschung – aber wir können sie alle nutzen für bessere, verständlichere Texte. Dabei wünschen wir Ihnen viel Spaß und gutes Gelingen!

Und hier finden Sie den Text als PDF zum Herunterladen: Das_lesende_Gehirn