Schreiben- und Lesen-Donnerstag: Geheimer Ort

Hier stellen wir euch Bücher vor – Schreibratgeber, aus denen wir etwas lernen konnten oder Romane, aus denen wir erst recht etwas lernen konnten.

FrenchTana French: Geheimer Ort, Kriminalroman, Scherz, 14,99€

Darum geht’s:
Im Park eines traditionsreichen Mädcheninternats wurde vor einem Jahr ein Junge erschlagen, der Täter konnte nicht ermittelt werden. Nach einem neu aufgetauchten Hinweis besuchen der junge Detective Stephen Moran und seine hartgesottene Kollegin Antoinette Conway die ehrwürdige Schule erneut, um den Mord endgültig aufzuklären. Acht Mädchen im wildesten Teenager-Alter kommen für die Tat in Frage und es bleibt nur ein Tag, um das Rätsel zu lösen.

Das überzeugt:
Tana French ist eine extrem genaue Beobachterin. Jeder Blick, jede Geste, jedes unwillkürliche Zucken haben hier Bedeutung und sind in die Handlung eingebettet. Es ergibt sich ein psychologisch stimmiges Bild und obwohl es neben den beiden Polizisten und acht Verdächtigen diverse weitere Figuren gibt, bleiben alle originell, individuell und trennscharf. Die Geschichte wird aus zwei Perspektiven erzählt: Die laufenden Ermittlungen werden aus Sicht des Detective Moran in der Ich-Form im Präteritum wiedergegeben, die Geschehnisse in der Vergangenheit, die zum Mord führen, werden aus auktorialer Sicht im Präsens erzählt. Während Morans Sicht eher nüchtern, auch mal zynisch, ausfällt, wird die Welt der Teenager einerseits als altersgemäß verwirrend und beängstigend beschrieben, andererseits mit großer Hingabe, schwärmerisch und funkelnd. Beide Pole, die die Jahre zwischen 14 und 17 kennzeichnen, werden sehr lebendig gemacht und man fühlt sich in die eigene Teenagerzeit zurückversetzt.

Das nicht so:
Man muss etwas Geduld mitbringen. Das Buch hat knapp 700 Seiten und manchmal wünscht man sich, die Autorin hätte etwas gerafft. Auch das mystische Element, das allerdings nur gestreift wird, gibt dem Buch nicht unbedingt mehr Tiefe, sondern verwirrt.

Typischer (Ab-)Satz:
„Die anderen, gleißend weiß vor den dunklen Bäumen, dreifach und wartend. der sanft gerundete Schatten unter Selenas Kinn, Beccas stark nach hinten gebogenes Handgelenk, wo sie die Hand ins Gras gestützt hat, Julias nach unten gezogener Mundwinkel: Holly wird das alles noch vor sich sehen, wenn sie hundert ist, wenn der Rest der Welt längst aus ihrem Kopf gespült ist. (…) Etwa verschiebt sich, der Rauchfahnenschmerz von etwas, was Durst ähnelt, aber nichts ist, das sich in ihrer Kehle und unter dem Brustbein festsetzt. Etwas geschieht.“

Das haben wir gelernt:
Wie man Dinge sagt, ohne sie zu sagen. Tana French arbeitet an entscheidenden Stellen mit Auslassungen, so dass im ersten Moment eine Leerstelle entsteht, die der Leser selbst füllen muss. Gerade dadurch, dass sie etwas nicht sagt, wird die Phantasie besonders angeregt und der Moment in der Geschichte im Kopf fest verankert. So schildert sie z.B. die Wahrnehmung einer der Protagonistinnen, während diese ihre Jungfräulichkeit verliert, als nach außen gewendet, weg vom eigentlichen, ungeheuerlichen Geschehen. Statt wiederzugeben, was ihr widerfährt, erleben wir die Außenwelt, die Natur um sie herum, die wie ein Echo funktioniert, das grotesk verzerrt wird. Dadurch gewinnt die Szene an Eindringlichkeit und gerät nie in Gefahr, klischeehaft zu wirken.