Alles eine Frage der Perspektive …

Lukas F. aus Füssen schreibt uns:
Liebe Münchner Schreibakademie, ich habe meinen Fantasyroman jetzt komplett durchgeplottet, alles recherchiert, und meine Figuren stehen auch. Aber ich frage mich, in welcher Perspektive ich schreiben soll. Haben Sie einen Tipp für mich?

Vielen Dank für Ihre Frage. Es ist auch für uns nicht immer einfach, sich für eine Perspektive zu entscheiden. Ohne Ihren Stoff genauer zu kennen, können wir natürlich keine Empfehlungen aussprechen, aber vielleicht kann das Folgende ja dabei helfen, Ihre Entscheidung leichter zu machen.
Die Wahl der Perspektive hat deutlichen Einfluss auf die Dramaturgie der Geschichte, auf die „Stimme“ Ihres Textes und sie bestimmt die Möglichkeiten der Informationsvermittlung.
Der Ich-Erzähler ermöglicht die größte Nähe zwischen Figur und Leserin und kann viel Empathie erzeugen. Doch aus dieser Perspektive können Sie nur die Dinge erzählen, die dem Ich-Erzähler auch bekannt sind – das heißt, Sie schildern die Geschehnisse nur aus der Sicht einer Figur und können nicht beschreiben, was im Inneren einer anderen Figur vor sich geht, solange diese sich nicht in einem Dialog o.ä. dazu äußert.
Bedenken Sie auch: Ein Ich-Erzähler kann nur schwer Geheimnisse vor dem Leser verbergen! Wenn er z.B. einen Mord begangen hat und dies verheimlicht werden soll, in dem er einfach nicht daran denkt, ist das unrealistisch. Als bekäme man gesagt, man solle jetzt nicht an ein rotes Klavier denken. Geht nicht, oder?
Wenn Sie plötzlich (und womöglich nur einmalig) in die Innensicht einer anderen Figur wechseln, wird der Leser darüber stolpern und unschön aus der Illusion der Erzählwelt herausgerissen. Er spürt dann den Erzähler und wird daran erinnert, dass alles „nur“ ausgedacht ist. Und das will weder der Autor noch der Leser!

Wählen Sie hingegen einen allwissenden, den sogenannten auktorialen Erzähler, erlaubt Ihnen das wechselweise aus der Sicht jeder Figur zu erzählen. Sie schweben „gottgleich“über allen Figuren, berichten von Ereignissen, die in der Zukunft oder Vergangenheit liegen, geben Zusammenhänge zwischen den Figuren und jedwede Ihnen relevant erscheinende Information preis. Doch der auktoriale Erzähler schafft eine Distanz zwischen Figuren und Leserin, die zu dem erzählten Stoff passen muss. Oft wählt man diese Form etwa bei Familiensagas mit einem weiten zeitlichen Handlungsbogen und viel Personal. Doch aufgepasst: Sie sollten nicht zum großen „Erzählerguru“ werden, der die Figuren zu bloßen Marionetten degradiert.

In vielen Romanen gibt es heutzutage die multipersonale Perspektive. Man switcht also von einer Person – er/sie/es – in die nächste, entweder kapitelweise, von Szene zu Szene oder sogar innerhalb einer Szene. Letzteres muss jedoch handwerklich sehr geschickt gemacht werden, damit es den Leser nicht verwirrt. Er sollte nicht den Eindruck haben, man wechselt nur, um bequem eine Information vermitteln zu können.
Beim personalen Erzählen ist man recht nah an den Figuren, kann auch in die Köpfe der Protagonisten schauen, ohne wie bei der Ich-Perspektive zu beschränkt zu sein. Es ist aber auch möglich, die Ich-Perspektive der Hauptfigur mit anderen zu vermengen. Es könnte in Ihrem Roman also ein Feuerdrache aus der Ich-Perspektive erzählen, der Zombie aus einer personalen Er-Perspektive.

Um herauszufinden, welche Perspektive Ihnen am meisten liegt und welche am besten zu Ihrer Geschichte passt, gibt es nur einen Weg – Sie müssen es ausprobieren! Schreiben Sie das erste Kapitel oder die erste Szene aus den verschiedenen Perspektiven und entscheiden Sie dann, was sich richtig anfühlt. Und selbst wenn Sie erst später im Schreiben merken, dass die gewählte Perspektive falsch ist – ändern Sie sie!
Entscheiden Sie sich auf keinen Fall nur aus Bequemlichkeit für den leichtesten Weg – finden Sie vielmehr den, der zu Ihrem Stoff passt!

In vielen Ratgebern wird die Erzählperspektive angesprochen, aber besonders erhellend fanden wir das Kapitel bei James Woods: Die Kunst des Erzählens, rororo, 2013

Wer beim Planen oder Schreiben nicht weiterkommt, darf uns gerne kontaktieren – wir werden Ihre Probleme stellvertretend vorstellen und knackige Sofort-Hilfe-Tipps geben (wenn möglich mit Buchempfehlungen zum Vertiefen des Themas). Fragen bitte schicken an: schreib@münchner-schreibakademie.de

Show? Tell? Ich kapiere es nicht!

Miriam L. aus Hannover schreibt uns:
Liebe Münchner Schreibakademie, immer wieder lese ich  „show, don’t tell“, was mich ein wenig nervt, denn ich schreibe schließlich einen Roman und kein Drehbuch, also kann mir mal jemand erklären, was damit gemeint ist?

Vielen Dank für Ihre Frage, die wir auch in unseren Seminaren oft zu hören bekommen. Show, don’t tell bedeutet soviel wie etwas zeigen, also in Handlung umsetzen, anstatt nur zu behaupten oder zu erklären. Mit dieser Erzähltechnik gibt man dem Leser die Möglichkeit mitzuerleben, quasi live dabei zu sein. Und das wirkt wahrhaftiger auf den Leser als wenn man nur etwas behauptet. Ihr Ziel als Autorin muss es sein, Emotionen zu wecken, seien es Neugier, Faszination, Angst oder Mitgefühl und das funktioniert durch „show“ meist besser. Verdeutlichen wir das mal an einem Beispiel:

Tell:
Lisa schloss sich im Badzimmer ein, weil sie wütend auf ihre Mutter war, die sie wie immer kein bisschen verstanden hatte. Dort ritzte sie sich den Arm.

Show:
Lisa warf schwer atmend die Badzimmertür ins Schloss und verriegelte sie. Nein, nein, nein! Sie betrachtete sich im Spiegel. Sie würde das nicht tun. Auf gar keinen Fall! Aber noch während sie den Kopf schüttelte, öffnete sie schon die böse Schublade, griff nach dem Nageletui, packte die goldene Schere, zog sich den Ärmel ihres Sweatshirts hoch und drückte die kalte Spitze der Schere in die Haut ihres Unterarms, drückte fester, noch fester und erst, als der erste Tropfen Blut hervorquoll, fing sie an, ruhiger zu atmen.

Sie sehen, oft führt das Zeigen auch dazu, dass der Text etwas anschwillt. Deshalb ist es gut, wenn man sich vorher überlegt, wie wichtig die Szene innerhalb des Romans ist. Denn show, don’t tell gilt nicht für alles und jeden. Wenn Sie beispielsweise eine solche Ritzszene schon einmal beschrieben hätten oder Lisa eine unwichtige Nebenfigur wäre, dann würde man an dieser Stelle durchaus den „tell-modus“ wählen, um zu der nächsten wichtigen Szene zu gelangen.

Einen kleinen Ratgeber nur zu diesem Thema gibt es hier: Showing and Telling von Marcy Kennedy, Ontario, 2013

Wer beim Planen oder Schreiben nicht weiterkommt, darf uns gerne kontaktieren – wir werden Ihre Probleme stellvertretend vorstellen und knackige Sofort-Hilfe-Tipps geben (wenn möglich mit Buchempfehlungen zum Vertiefen des Themas). Fragen bitte schicken an: schreib@münchner-schreibakademie.de